Kampagne 2011

Die Grabungen des Jahres 2011 im Kontext der bisher erzielten Resultate:

Die diesjährige, im Rahmen der Didyma-Expedition durchgeführte Grabungskampagne in der bronzezeitlichen Siedlung auf der kleinen Insel Tavşan Adası nördlich des Panormos, dem antiken Hafen von Didyma, fand vom 15.08. bis zum 9.10. statt. Gleichzeitig wurde im Grabungshaus mit der Aufarbeitung des sehr umfangreichen keramischen Fundmaterials fortgefahren. Die Grabungsmannschaft bestand aus Prof. Dr. François Bertemes (Grabungsleiter), Dr. Karin-Hornung-Bertemes (Leitung der Kleinfundebearbeitung), Dorothea Mauermann MA (Schnittleiterin), Tobias Neuser MA (Schnittleiter), Maik Evers MA (Schnittleiter), Olaf Schröder (Grabungstechniker), Dieter Morche (Fotograf) sowie Konstanze Eckert MA, Michael Rechta MA, Anja Lochner BA und den Studierenden Daniel Delchev, Ronny Krähe, Melanie Weber, Petra Kindermann (letztere allesamt bei der Kleinfundebearbeitung beschäftigt). Während fünf Tagen führten Dr. Stefan Dreibrodt und Dr. Carolin Lubos vom Zentrum für Ökologie der Universität Kiel, auf dem benachbarten Festland erste Bohrungen zur Erforschung der Umwelt zur Zeit der Bronzezeit und der Antike durch.
Für die diesjährige Kampagne stellte die Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg dankenswerterweise Mittel von insgesamt 32.000€ zur Verfügung. Erforscht sind in vier Grabungsbereichen nunmehr ca. 1.000m² der gesamten Insel. Durch die Grabungen konnte die überregionale Einbindung des Fundortes innerhalb des ost-/südägäischen Kommunikationsraumes noch deutlicher herausgestellt sowie die Stratigrafie und die Chronologie weiter konkretisiert werden. Aus typochronologischer Sicht waren besonders die Untersuchungen zur frühbronzezeitlichen Schicht TA 2 höchst aufschlußreich. Die Resultate lassen sich nach Schichten gegliedert im einzelnen wie folgt zusammenfassen.

1. Tavşan Adası 7 (TA7): Auch in diesem Jahr konnte keinerlei Hinweis auf Siedlungsaktivität nachgeweisen werden. Der Silbermünzenfund des Suleyman dem Großen aus dem Jahr 2009 im Humus von Areal D18 NO muß somit als das Resultat eine sporadischen Begehung der Insel in dieser Zeit gewertet werden.

2. Tavşan Adası 6 (TA6): In Alan1, der Ostfläche, konnte eine wohl durch ein Erdbeben zerstörte einräumige frühbyzantinische Kirche mit einer Chorapsis und einem nördlich vorgelagerten kleinen, fast quadratischen Anbau freigelegt werden. Die Apsis ist in einen tiefer fundierten, massiven, rechteckigen „Turm“ aus kalkgemörteltem Mauerwerk integriert. Die restlichen in zwei bis drei Lagen erhaltenen Mauern des Gebäudes sind fast trocken gemauert. Im Innern war die Kirche mit Kalk verputzt. Der Zugang zur Kirche befand sich im Süden. Im Chor und entlang der Längswände waren Bänke aus einer Steinreihe so vorgelagert, dass sich ein kreuzförmiger Grundriss ergibt. Als Funde sind Fragmente typischer Gefäßkeramik, Dachziegel, eine bronzene Lampenkette, Architekturfragmente aus Marmor, darunter ein Säule mit gedrehter Kannelur (bereits 2009 entdeckt) zu erwähnen.

byz.Kirchebyz.Kirche Detail

3. Tavşan Adası 5 (TA5): Südlich der oben erwähnte Kirche kam im Norden von Areal E 17 eine mit Asche und Kohle verfüllte Grube zum Vorschein, in der die ober Hälfte eines zweihenkligen archaischen Gefäßes eingebracht war. Auserdem fanden sich im Humus der Areale F17 und E17 wenige, tertiär verlagerte antike Scherben (vor allem archaisch). Bislang konnte bis auf den 2010 an der östlichen Abbruchkante der Insel (Areal D18 NO) freigelegten Mauerrest und die ihn begleitenden Grube mit Vogelschalenfragmenten, Schwarzfirnis-, und Fikeluraware kein weiterer Baubefund auf der Insel nachgewiesen werden.

4. Tavşan Adası 4 (TA4): Die Grabungen in dem großen, aus langrechteckigen Räumen bestehenden Gebäudekomplex in Alan 1, Ostfläche, konnte weitgehend abgeschlossen werden. Stratigrafie und Baubefunde zeigen deutlich zwei Bauphasen. Zahlreiche Scherben typischer Leistenpithoi verweisen auf ein Magazin. Das sehr einheitliche archäologische Material findet Entsprechungen im Spätminoisch Ia  der Süd- und Ostägäis. Anatolische Elemente fehlen vollständig! Wie in Milet 4a sind tatsächliche Importe (teilweise von hoher Qualität) und regionale "minoische" Waren belegt. Der herausragendste Funde ist nach wie vor das amigdaloide, kretische Bergkristallsiegel mit einem fein eingeschnittenen Segelschiff. In dem leider meist sekundär verlagerten Material in dem Gebäude kamen zahlreiche Gefäßreste mit vor dem Brand eingeritzten Schriftzeichen (zum großen Teil Linear A) zum Vorschein. Kretische Gewichte aus Blei und Stein sowie Kupferbarren, Bleibarren, Bronzemeißel und -pfrieme, ein Steinamboss, eine auf drei Seiten zu benützende Gußform aus Stein zur Herstellung von Flachäxten und Barren, Schlacke und Erze belegen, dass in dem Gebäude Metall produiziert bzw. verarbeitet wurde. Da sich diese Funde besonders in dem schmalen, an der Strasse liegenden südöstlichen Raum häufen, dürfte sich die Werkstatt hier befunden haben. Insgesamt weisen die Funde Tavşan Adası als wichtigen Handelsort innerhalb des südägäischen Handelsnetzwerkes aus. Fernverbindungen sind außerdem durch kykladisches Obsidian und durch Marmor bezeugt.

TA4 LuftTA4 Luft 2

5. Tavşan Adası 3 (TA3): Im Süden der Insel wurde der angeschnittene Gebäudekomplex großflächiger freigelegt. Die auffallend gut gesetzten Schalenmauern umfassen Räume von beachtlicher Größe (bis zu 50 m²), die offenbar um gepflasterte Höfe angeordnet sind. Leider sind die Befunde stark durch Steinraub beeinträchtigt, so dass nach wie unklar ist, ob es sich um die Reste eines größeren, komplexen Gebäudes oder aber um kleinere Baueinheitem handelt. Kamares-Scherben (nach der Ware kretisch) sowie insbesondere auch das Tassen- und Schalenspektrum sind bestens mit MM II auf Kreta zu verbinden. Minoische Webgewichte, Spinnwirtel und Purpurschnecken in dem vor zwei Jahren gegrabenen Areal C12 postulieren einen Produktionsort für Stoffe. Besonderes Augenmerk verdient ein Werkstatthof in Areal B13 mit einem großen, in den Untergrund eingetieften, kreisrunden Keramikofen kretischen Typs. Die Ofenwände sind aus senkrecht gestellten, quadratischen Lehmziegeln gebaut. Zwei ebenfalls aus Ziegeln gefomte Bewindungsrippen gliedern den Innenraum. Die Öffnung befindet sich im Südwesten. Wenige Meter weiter westlich konnte eine in den Felsen eingetiefte Schachtförmige Grube freigelegt werden, deren Wände mit kleinen Bruchsteinen ausgekleidet und mit Kalk verputzt waren. Vermutlich diente sie zur Lehmaufbewahrung. Das in diesem Werkstatthof auch Metall produziert wurde, zeigt die bereits im letzten Jahre entdeckte steinerne Gussform minoischen Typs zur Herstellung einer Doppelaxt.

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6. Tavşan Adası 2 (TA2): Das NO-SW orientierte kleine Megaron-Gebäude in den Arealen C12 und C13 wurde weiter freigelegt. Leider schein sein westliches Ende bei der Errichtung des oben beschriebenen Werkstatthofes vollkommen abgeräumt worden zu sein. Allerdings konnte in diesem Jahr die für ein Megaron typische, zentrale Feuerstelle dokumentiert werden. Im Norden der Insel konnten in Alan 3 drei kleinere einräumige Gebäude freigelegt werden, die offenbar terassenartig in den Hang eingetieft waren. Die Mauern sind schmal und weniger sauber gesetzt. Die lokal geprägte Keramik weist antolische sowie süd- und ostägäische Einflüsse (frühkykladisch II/III, bzw. frühminoisch II/III) auf. Die Feinkeramik (meist Flaschen, Schalen und Kantharoi) ist handgemacht und weist eine hochpolierte rote Oberfläche auf während die ebenfalls handgemachte Grobkeramik vor allem Tassen und Becher umfasst. Besonders erwähnenswert ist der Fund einer groben Tasse, in die ein feiner rotpolierter Kantharos eingebracht war. Vermutlich handelt es sich um ein Fundierungsdepot.

7. Tavşan Adası 1 (TA1): Die grob mit Häcksel gemagerten, reduzierend gebrannten und mit einem roten Überzug versehenen Scherben, die allgemein als chalkolithisch angesprochen werden, finden sich ausschlielich in TA 2 Zusammenhängen. Vermutlich handelt es sich deshalb eher um eine Ware innerhalb der Frühbronzezeit.

 

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