Geologische Untersuchungen der Insel

1. Topographie, Geologie und Sedimentpetrographie

Die ca. 120 x 100 m große Insel Tavşan Adası liegt etwa 300 m vor der Küste und ist durch eine bis zu 2 m unter Wasser liegende Schwelle (vermutlich eine ehemalige) Landbrücke) mit dem Küstensaum verbunden. Die Ufer der Insel erheben sich steil und ragen meist ca. 4-6 m über dem Wasserspiegel auf. Untermeerisch ist die derzeit erhaltene Insel von einem teilweise unregelmäßig, teilweise gradlinig begrenzten, plateauartigen Felssockel umgeben, der etwa 0,5-1 m unter dem mittleren Wasserspiegel liegt. Dieser Sockel scheint zwischen 2 m und 20 m breit zu sein. Die eigentliche Inseloberfläche ist recht eben und randlich mit immergrüner Maccia, im Inneren auch mit dichtem frühlingsgrünem Buschwerk bestanden. Die Aufschlussverhältnisse auf der Inseloberfläche sensu stricto sind nicht besonders gut, was jedoch durch die hervorragenden allseitigen Aufschlüsse an der Steilküste der Insel mehr als kompensiert wird. Die geringe Größe der Insel dürfte in Verbindung mit den ungewöhnlich guten Küstenaufschlüssen eine sehr gute räumliche Untersuchung und dreidimensionale Darstellung der Geologie erlauben.

Die Insel ist aus mehreren Lagen unterschiedlich mächtig gebankter Mergelsteine und Konglomerate der Balak Formation des Oberen Miozäns (7,3-5,3 Ma) aufgebaut (Abb. 1). Die stratigraphisch jüngeren, markant weißen Kalksteinbänke der Akbük Formation (Unteres Pliozän, 5,3-3,6 Ma) treten auf der Insel hingegen nicht auf. Im Uferbereich der östlich gegenüber liegenden Küste der Milesischen Halbinsel sind ebenfalls gebankte Mergelsteine und Konglomerate der Balak Formation aufgeschlossen. Für eine tektonische Störung mit erheblichem Vertikalversatz zwischen dem Küstenstreifen und der Insel gibt es derzeit keine Anhaltspunkte.

Die Mergel und Konglomerate wurden im Miozän in fluviatilen Rinnen, als Schichtflutsedimente und z.T. auch flachmarin abgelagert. Zumindest zeitweilig subaerische Sedimentationsbedingungen werden durch Miozäne Erdbienenbauten angezeigt, von denen ein ungewöhnlich großes Nest im Kliff am Uferstreifen erhalten ist (Abb. 2).

Abb. 1: SW-Ansicht der gebankten, flach einfallenden Mergelstein und Konglomeratbänke Abb. 2: Miozäner Erdbienenbau im Mergelstein an der Küste gegenüber von Tavşan Adasi

Die Mergel lassen deutlich härtere, mächtig gebankte (> 1m), karbonatreiche Lagen und weichere, dünnbankige (< 1m), tonigere Lagen erkennen. Die Mergelsteinlagen sind meist planar geschichtet und fallen mit ca. 13° nach WNW (in Richtung 290°) ein. In deutlichem Kontrast hierzu fallen die Konglomerate als relativ harte, rinnenförmige Körper mit z.T. begrenzter Lateralerstreckung in SW-NE Richtung und großer lateraler Ausdehnung in SSE-NNW-Richtung auf. Die Konglomerate sind zumeist klastengestützte Sedimentgesteine (Abb. 3), deren Geröllinhalt aus sehr unterschiedlich hartem Material besteht. Die Klasten bestehen zum einen aus sehr harten, roten, meist nur kantengerundeten Quarzitgeröllen (Chert) und zum anderen aus gut gerundeten, stark verwitterten, sehr weichen Geröllen mit ursprünglich ultramafischer Komposition. Dabei handelt es sich im Einzelnen um ehemalige Dunite, Serpentinite und Pyroxenite, die vollständig hydriert und in weiche gelbgrüne Sekundärmineralien umgewandelt worden sind und im Gestein oft nur noch als Kavernen zu finden sind. Der Klasteninhalt repräsentiert Erosionsmaterial aus Ophiolitkomplexen, d.h. obduzierter ozeanischer Kruste (Lykische Decken) und wurde vermutlich im Miozän von schnell fließenden Flusssystemen mit hoher Erosions- und Transportenergie aus südlichen Richtungen geschüttet.

Die Miozänen Gesteine sind von einem orthogonalen Kluftmuster durchzogen, das z.T. von „Kalzittapeten“ ausgekleidet ist. Während die kalzitgefüllten Klüfte im Brandungsbereich stellenweise mechanisch als Härtlingsrippen herauswittern, werden diese untermeerisch durch Verkarstung bevorzugt chemisch erodiert und bilden ein nahezu rechtwinkliges Systems enger, tiefer und meist planarer Spalten, dass im die Insel umgebenden Sockelbereich in einigen Bereichen gut zu erkennen ist. Tektonische Störungen mit deutlich erkennbarem Vertikalversatz sind bisher nicht aufgefallen.

 

Abb. 3: Zellenartig verwittertes, massiges Konglomerat mit vereinzelten harten, dunkelroten Quarzitklasten (Mitte links).

 

2. Anthropogen verwendete Gesteinstypen und Provenanceaspekte

Bei den auf Tavşan Adası in den Schnitten gefundenen Gesteinstypen handelt es sich sowohl um solche aus nah benachbarten Gebieten, als auch von weiter her importierte Materialien. Im Einzelnen gehören dazu:

  • Kalkstein: Verwendet als unformatiert oder nur roh formatierte Blöcke in den diversen Trockenmauern bzw. Fundamenten (Abb. 4). Weiß, hart, scherbig brechend, z.T. verkarstet. Vergleichbare Gesteine stehen auf der Insel selbst mit großer Wahrscheinlichkeit nicht an. Die nächsten Vorkommen derartiger Kalksteine befinden sich im Inland, mehr als 3 km östlich von Tavşan Adasi, sowie mehr als 4,5 km südlich (an der Küste, südwestlich von Mavişehir) und mehr als 3 km nördlich an der Küste bei Taşburun. Der im Bereich der Insel und des direkt benachbarten Küstenstreifens anstehende Mergelstein und das Konglomerat wurden offensichtlich nicht als Mauersteine benutzt. Die schlechten bauphysiklischen Eigenschaften des weichen Mergelsteins und heretogenen Konglomerats waren den damaligen Handwerkern offensichtlich bewusst. Ob an der Westspitze der Insel evtl. eine einzelne Kalkbank aus vergleichbarem Material als kleines Erosionsrelikt ansteht bleibt zu klären.
  • Marmor: Verwendet als meist unformatierte Stücke in diversen Trockenmauern (Fig. 4) und als wenige formatierte Mauersteine, Relieffragmente und ein einzelnes Kelchfragment. A) Dunkelgrau, gebändert, schlierig in bronzezeitlichen Trockenmauern, B) weiß, homogen als antike Blöcke und C) weiß-schwarz schlierig-faltig gebändert als Fragment eines prähistorischen dünnwandigen Kelches. Der gesamte Marmor ist offensichtlich importiert, wobei für die Varietät A evtl. die Mykale oder die Ufer des Bafa Gölü, für die Varietät B vermutlich Inselmarmor, evtl. naxisch in Analogie zum archaischen Tempel und Skulpturenmarmor, anzunehmen ist. Die Zuordnung des Marmors des Kelchfragments ist derzeit noch unklar
  • Glimmerschiefer: Diverse, teilweise stark abgerollte, meist plattige Steine (Abb. 5), z.T. Verwendung als Reibsteine (Läufer). A) Hell, muskovit-reich, silbrig glänzend, strak geschiefert, mürb brechend. B) Dunkel-grün, chlorit-reich, weich, mürb brechend. Die verschiedenen Glimmerschiefervarietäten dürften aus dem Großraum des metamorphen Menderesmassifs stammen, d.h. vermutlich aus dem Bereich Herakleia/Bafa Gölü oder der Mykale.
Abb. 4: Unregelmäßig geformte Kalksteinblöcke und einzelnes „Marmorstück“ (direkt rechts über Massstab) in bronzezeitlicher Trockenmauer in Schnitt D18 NW . Abb. 5: Stark gerundetes Schiefergeröll in bronzezeitlicher Trockenmauer in Schnitt D18 NW.

  • Basalt: Diverse Bruchstücke von Mühlen. Schwarz, porenreich, blasig. Importe vermutlich aus weiter entfernten Regionen der karischen oder lykischen Küste.
  • Andesit und Andesitporphyr: Vereinzelte, unregelmäßig geformte Bruchstücke mit unklarem Verwendungszweck. Dunkelgrau-grünlich, dicht, grobkristallin, z.T. mit gut spiegelnden Feldspäten.
  • Silex (Chert): Wenige einzelne Abschlagsscherben. Opak-weiß. Herkunft derzeit unklar.
  • Metabauxit: Relativ häufig auftretende, unregelmäßig geformte, meist stark verrundete Brocken mit unklarem Verwendungszweck (Erz? Werkzeug? Ballaststeine?). Sehr schwer, extrem hart, dunkel rot-violett und schwarz gefleckt. Metamorphe Bauxite enthalten Korund (Härte 9)! Herkunftsgebiete sind im Bereich des Bafa Gölü bzw. Menderesmassifs zu suchen, wo verleichbare Gesteine als metamorphe Smirgel-Linsen vorkommen.
  • Magnetit: Einzelnes kleines Erzstück mit unklarem Verwendungszweck (Erz zur Verhüttung? Erz als Handelsware?). Schwarz, schwer, magnetisch, massig, grobkristallin, nicht deformiert, gut spiegelnde Kristall und Spaltflächen. Das Stück entstammt sicherlich dem gezielten Abbau eines Erzvorkommens, vermutlich ein Magnetit-Gang. Keineswegs handelt es sich um einen von weit her antransportierten Lesestein (Geröll), wie dies bei den Metabauxiten der Fall zu sein scheint. Vergleichbare Vorkommen sind dem Autor derzeit noch nicht bekannt, es dürfte sich jedoch um Vorkommen aus weiter entfernt liegenden Vorkommen handeln. Möglicherweise um eine Gangvererzung im Umfeld einer magmatischen (granitischen?) Intrusion.

3. Archäologische Relevanz der geologischen Befunde

3.1. Inselgeologie: Die Insel Tavşan Adası ist mit Sicherheit in prähistorischer Zeit und der Antike erheblich größer und über eine Landzunge mit der östlich gelegenen Küste der Milesischen Halbinsel verbunden gewesen. Die lokalen Gegebenheiten weisen deutlich auf einen ehemals niedrigeren Wasserstand in prähistorischer bzw. antiker Zeit hin. Der versunkene Felssockel der Tavşan Adasi umgibt deutet zumindest eine Phase der Rückverlagerung der Steilküste an. Die Erosion durch das Meer greift die über den Meeresspiegel ragenden Bereiche überwiegend mechanisch, die unter dem Meeresspiegel gelegenen jedoch eher durch Verkarstung an und konserviert diese gleichzeitig in Form eines plateauartigen Riffs. Dies könnte darauf hinweisen, dass der Rand des unter Wasser erkennbaren Felssockels eine frühere Brandungserosionskante darstellt. Dieser Interpretation folgend, könnte auch diese versunkene Erosionskante seit prähistorischer oder antiker Zeit rückverlegt worden sein. Somit könnte Tavşan Adasi durchaus eine Insel oder Halbinsel mit erheblich größerer Ausdehnung gewesen sein, die zudem noch deutlich höher aus dem Meer herausgeragt haben dürfte.

Die wall- oder mauerartige untermeerische Schwelle auf der Südseite der Insel dürfte zumindest teilweise natürlichen Ursprungs sein. Eine ähnliche Struktur ist möglicherweise auf Schrägluftbildern an der gegenüber liegenden Nordwestseite der Insel erkennbar und bedarf in Zukunft der Überprüfung. Unabhängig vom geogenen oder antropogenen Ursprung der Schwelle hat diese bei tieferen Wasserständen einen schützenden Einfluß gehabt und könnte als Wellenbrecher oder Mole gedient haben.

 

3.2. Verwendete Lithotypen: Auffällig ist zunächst, dass auf Tavşan Adası keine lokalen Gesteine sensu stricto, d.h. Mergelstein bzw. Konglomerat der Insel, verwendet worden sind. Wenn dies auch bauphysikalisch einleuchtend ist, so ist doch zu bedenken, dass der Sekos I in Didyma zumindest teilweise aus vergleichbarem Mergelstein errichtet worden ist, der dort an Ort und Stelle abgebaut wurde. Ein Land- und/oder Seetransport der weißen Kalksteine über einige Kilometer aus dem angrenzenden Umland ist als sicher anzunehmen.

Interessant ist das relativ häufige Vorkommen von wenig oder nicht formatierten Blöcken aus „externem“ Marmor, die keine erkennbar bessere Funktion als die zusammen verbauten lokalen Kalksteinblöcke haben. Trotzdem wurden diese Marmore aus Entfernungen von über 25 km, vermutlich auf dem Seeweg antransportiert. Die bronzezeitliche Verwendung von Marmor aus dem Hinterland steht in interessantem Kontrast zur archaischen Zeit in der bisher nur die Verwendung von Inselmarmor (Naxos) bekannt ist. Die Nutzung von Marmor aus dem karischen Hinterland setzt erst wieder mit Beginn des hellenistischen Tempels III ein. 

Eine ähnliche Fragestellung wie die Verwendung unformatierter „Importmarmore“ betrifft die Metabauxitknollen, die auf der Insel verstreut zu finden sind und ebenfalls aus über 25-30 km Entfernung stammen. Auch hier steht die derzeit unklare Nutzung noch in scheinbarem Kontrast zum offensichtlich gezielten Import.  

Der Fund des bisher einzigen Eisenerzfragmentes mag andeuten, dass es sich hier um einen an  Ort und Stelle verarbeiteten mineralischen Rohstoff oder aber um ein hier deponiertes Handelsgut gehandelt haben könnte. Gleiches könnte für die Metabauxite und evtl. das Silexhalbzeug zutreffen. Zukünftige Untersuchungen dieser Fragestellungen sollten eine Beantwortung der angerissenen Probleme erlauben.

 

4. Bedrohung der archäologischen Befunde durch Wellenerosion

Die Insel Tavşan Adası stellt in ihrer heutigen Form nur noch einen Erosionrest dar. Dieser ist sehr stark von weiterer Erosion durch die Brandung bedroht und damit auch die auf der Insel erhaltenen Kulturschichten. Insbesondere die weichen Mergelsteine, die zellenartig auswaschenden Konglomerate und die orthogonale Klüftung bieten dem Meer sowohl mechanische wie auch chemische Erosionsmöglichkeiten. Die tiefen Auskehlung des untersten Steilküstenbereichs sowie die stets frisch abgerutschen bzw abgebrochenen Hänge und Kliffs der Steilküste belegen, dass der Erosionsprozess schnell und kontinuierlich voranschreitet. Die Ausgrabung der Kulturschichten auf Tavşan Adası sollte daher höchste Priorität haben.

(Prof. Dr. Gregor Borg, Stand 2006)